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Protest im Süden...

Der "neue" Widerstand in Kärnten - veröffentlicht am 02/04/2010 in der Presse...http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/555849/index.do?from=suche.intern.portal
Nachfolgend die Langfassung exklusiv für alle Eisbär Helmut Leser...

Politischer Widerstand war in Kärnten jahrelang ein sprichwörtliches Minderheitenprogramm. In den letzten Monaten hat sich das geändert, Protest scheint langsam wieder salonfähig zu werden. Auf sozialen Netzwerkseiten, Unterschriftenlisten und in Bürgerbewegungen wird eine neue politische Kultur im Land gefordert. 

Ausstaffiert mit Lautsprechern, grünen Trillerpfeifen und Transparenten versammeln sich etwa 250 Menschen vor der Landesregierung, um nach einer kurzen Kundgebung mit einem Pfeifkonzert und Buhrufen, durch die Klagenfurter Innenstadt zum Landhaushof zu marschieren. „Rechts abbiegen verboten“, „FPK-ÖVP zieht unser letztes Hemd aus“ oder „Mit euch geht Kärnten pleite“ ist auf den Plakaten zu lesen. Seit mehr als drei Monaten werden in Klagenfurt wöchentlich von den Grünen initiierte Freitagsdemos durchgeführt. „Es ist der einzige Weg seine Unzufriedenheit kundzutun, durch den zunehmenden Druck wird sich in der Landespolitik dann hoffentlich etwas ändern“, sagt Martina Wiltschnig, Gemeinderätin in Wernberg. Unter dem Motto „Wir gehen, bis sie gehen“ fordern Demonstranten aller Altersklassen den Rücktritt der Landesregierung und die Abschaffung des Proporzsystems. Josef Götz, Schuhmacher und Grünen Gemeinderat in Bad Bleiberg ist seit dem ersten Protestmarsch dabei: „Wir haben schon jahrelang auf Freunderlwirtschaft und Fehlentwicklungen in Kärnten aufmerksam gemacht. Schön langsam zeigt sich, dass wir Recht hatten.“ 
In den vergangenen Jahren hatte sich eine seltsame Apathie in Kärnten breit gemacht, das System des omnipräsenten Landeshauptmanns Jörg Haider offenbar den politischen Widerstand minimiert und an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt. Die geistige Kapitulation der Andersdenkenden? „Haider praktizierte eine Art Herrschaft durch Charisma und regierte das Land wie ein Feudalherr“, sagt der Soziologe Helmut Guggenberger von der Universität Klagenfurt, „dadurch wurde Kritik abgewehrt und sind viele Dinge nicht ans Tageslicht gekommen“. Die Performance von Haiders Epigonen in der Landesregierung, Erhöhung der Parteienförderungen in einer Geheimaktion, Parteispaltung im rechten Lager, Notverstaatlichung der Hypo und die desaströse Finanzsituation führen jetzt zu einer zarten Renaissance der Protestkultur im Land. Der Soziologe sieht diese „Erregung der Zivilgesellschaft“ als verständliche demokratische Entwicklung, „erstaunlich ist, dass sich erst so spät etwas rührt“. Angesichts der sich zuspitzenden politischen Zustände, wird jetzt „bei vielen Bürgern die Frustration durch aktiven Protest ersetzt“. 


Der Widerstand gegen die politischen Verhältnisse formiert sich zunehmend über soziale Netzwerke. Primäres Ziel der Initiative NeuwahlJetzt.at, die bisher fast 2.700 Online-Unterschriften gesammelt hat, ist ein sofortiges Ende der FPK/ÖVP Koalition. Über 3.800 Mitglieder finden sich mittlerweile in der Facebook-Gruppe „Wir sind Kärnten! Wir sind das Volk!“. Der Landesregierung wird das Recht abgesprochen, das Volk weiter zu vertreten. Gegründet vom Grünen-Politiker Matthias Köchl, zählt jetzt auch Stefan Petzner zu den Mitgliedern. Petzner und die verbliebenen Kollegen des BZÖ versuchen die ehemaligen Parteifreunde mit einem Forderungskatalog zu einem politischen Kurswechsel zu zwingen. In der ÖVP hat sich eine innerparteiliche Protestgruppe gegen Obmann Josef Martinz und das Festhalten an der Koalition gebildet. 
Die Anfang März gegründete „Allianz zur Förderung der Demokratie in Kärnten“ sieht sich ebenfalls als unabhängige Bewegung zur Verbesserung der politischen Zustände in Kärnten. Mitbegründer Walter Wratschko, seit Jahren für das Liberale Forum politisch aktiv, richtet den Fokus vor allem auf nachhaltige, strukturelle Veränderungen in Kärnten. „Es geht um eine erfolgreiche Zukunft des Landes, um Visionen, um neue Transparenz im Land.“ Die Allianz will sich als „stark von den Bürgern getragene“ Protestbewegung positionieren, „denn viele Menschen wollen ernst genommen werden und wieder verstärkt am politischen Leben teilnehmen“. Um die etablierten Parteien zum Umdenken zu bewegen, wird eine Kandidatur bei den Landtagswahlen 2014 in Erwägung gezogen. 


Sogar der selbst berufene Kärntner Faschingsgeneral Reinhard Eberhart - bis dato nicht durch kritische Äußerungen gegenüber Politikern jeglicher Couleur aufgefallen - entdeckt seine revolutionäre Ader. Eberhart fungiert als einer der Proponenten der plakativen Plattform „Das neue Kärnten“, welche die Kärntner Politik als „verblödet“, „vertrottelt“ und „vergaunert“ bezeichnet. „Die Bewegung soll so stark werden, dass sich die Parteien selbst ändern. Sonst werden wir eine Volksabstimmung über Neuwahlen erzwingen“, sagt Eberhart. Für Anfang Juni ist in Villach ein Festival gegen Korruption, politisches Unvermögen und Dummheit geplant. 
In den kommenden Monaten soll es vermehrt Gespräche geben, um eine bessere Vernetzung der sehr heterogenen Protestbewegungen zu erreichen. Soziologe Helmut Guggenberger sieht darin auch die einzige Chance: „Sollte das gelingen, kann das tatsächlich zu einer Korrektur der Entwicklung im Lande führen.“

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