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zweiter aufschlag

Musik von Rihanna und Justin Timberlake dröhnt aus den Lautsprechern. Vier Tage lang wird das beschauliche Annenheim am Ossiacher See zum Ort der Sünde, Versuchung und Begierde, die Tennishalle avanciert zum Tempel der Liebe, in dem so mancher auf den zweiten Aufschlag setzt.

So auch Hannes, Christian und Robert, drei sportliche junge Männer um die 20 Jahre alt. Sie wohnen ganz in der Nähe und nützen die Erotikmesse, um ein wenig Abwechslung in ihren typischen Freitagabend zu bekommen. In der Provinz sind sie die Märchenprinzen, die teuren Eintrittspreise dabei kein Hindernis. „Ich hab mir zum Reingehen eine junge Dame angejubelt, damit ich ein wenig Geld spare. Zu zweit zahlst du nur 30 Euro, allein würde ich 20 zahlen. Aber die ist mir leider entkommen, jetzt muss ich weitersuchen“, sagt Christian mit einem verschmitzten Lächeln. Hannes hingegen ist über den Verlust seiner Kurzzeit-Begleiterin durchaus erfreut, „weil sonst würde mich die Alte die ganze Zeit über dort drüben bei den Dildos festhalten und das interessiert mich nicht so. Ich bin lieber bei der Live-Bühne“.

Die Besucher werden auf einem roten Teppich empfangen, tomatenfarben zieht sich der Bodenbelag durch die gesamte Tennishalle, die Innenseite des Daches ist leicht verstaubt. Von Erotik auf dem ersten Blick keine Spur. Die Halle hat den Sexappeal der Lagerhalle eines Möbeldiskonters. Im ersten Stock, gleich über dem Eingang, liegt das Tenniscafé mit dem Blick auf die Messe aus der Vogelperspektive. Das Café ist gut gefüllt, die Terrasse heiß begehrt wie die Logenplätze in der Staatsoper.

Dann geht es los mit der totalen optischen und akustischen Reizüberflutung. Zum Aufwärmen findet sich links vom Eingang ein Verkaufsstand mit Weinen. Ein Blick auf die Banderolen und Etiketten der feil gebotenen Weinflaschen lässt die Hoffnung auf einen erotischen Trinkgenuss aber umgehend schwinden. Grüner Veltliner aus dem Kamptal und Zweigelt aus dem Mittelburgenland – Vinophilie zum Abgewöhnen. Der Aussteller am Weinstand fühlt sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut, er ist üblicherweise auf eher bedingt erotischen Messen unterwegs. Haut gezeigt wird am nächsten Stand, Live-Piercings und Tätowierungen dürfen natürlich nicht fehlen. Das dazugehörige Geräusch lässt bei den Besuchern eine Gänsehaut aufziehen.

Die Hauptbühne mit kleinem Laufsteg ist im hinteren Bereich der Halle angesiedelt, rudimentär dekoriert mit etwa mannshohen Kunststoffpalmen in überdimensionalen Terrakotta-Blumentöpfen. Die Zuschauerfläche ist gut gefüllt und mit einigen runden Stehtischen ausgestattet. Alkohol und Erotik schließen sich nicht aus. Das umfangreiche Showprogramm präsentieren gleich zwei Moderatoren, Bilingualität ist angesagt. Francesco versucht die italienischen Besucher anzulocken. In seinem engen blauen T-Shirt und mit dem gegelten dunklen Haupthaar wirkt er wie ein Fußballer der Squadra Azzura.

Gleich darauf betritt der heimliche Star des Abends die Bretter, die zumindest für ihn die Welt bedeuten: Dieter Deutsch. Moderator, Einheizer und fast so was wie ein Anchorman der Erotikmesse. Mitte 30 Jahre alt, sieht er aus wie ein gescheiterter Fernsehstar - eine Mischung aus Wolfram Pirchner und Elvis Presley – mit der typischen Stimme eines deutschen Schlagersängers. Das Showprogramm kommentiert er enthusiasmiert: „Auf unserer Hauptbühne gibt es stündlich zwei bis drei Shows zu sehen, unter anderem jede Menge heiße Girls und natürlich auch aufregende Männer. Dann haben wir noch in der Mitte der Halle die Happy-Weekend-Bühne, wo es ebenso tolle Mädels zu sehen gibt. Und das absolute Highlight gibt’s gleich hier rechts neben der Bühne: die Hardcore Abteilung. Denn da zeigen wir ganz einfach das, was wir auf unserer Hauptbühne alles nicht zeigen dürfen. Dildo Shows, Lesben Shows, den Butterfly und vieles, vieles mehr.“ Einige wirklich klingende Namen delektieren das Publikum auf der Hauptbühne. „Im Vordergrund steht sicherlich Stefania Bruni, ausgezeichnet mit sechs Porno Oscars, eine sehr gefragte Dame, die normalerweise nur in Amerika unterwegs ist. Claudia Bluebell ist ein Begriff, sie hat auch schon unzählige Filme gedreht. Mia Di ist mit dabei und viele weitere interessante Girls.“ Porno Oscar? Gibt es tatsächlich, bestätigt Dieter Deutsch mit unverwechselbarem rollenden „r“. Bei den Männern ist Marcelo Bravo der Superstar, er ist Dauergast auf großen Erotikmessen - wie der Kamasutra - in ganz Europa. Weiters geben Cowgirl Regina Moon, Samira Summer, July Diamond, Catwoman und Judy Nero auf dem vermeintlich erotischen Catwalk Kostproben ihres Können zum Besten.


Zu jeder vollen Stunde fallen die Hüllen - und im Publikum entsprechend die Hemmungen. Eros, der schönste unter den griechischen Göttern erfährt hier seine Huldigung. Wie bei Eros & Amore - einer akrobatischen Show mit einem drahtigen und athletischen Eros, der jedem Reckturner zur Ehre gereicht. Amore eine grazile junge Frau, mit einem engelsgleichen Gesicht – sie wirkt wie eine russische Eiskunstläuferin. Beide sind sie leichtbekleidet, die Show erinnert irgendwie an Sporttanz, und nach einigen Minuten Bewunderung der akrobatischen Leistungen geht es ans Eingemachte. Amore steht und balanciert auf den starken Schultern des Eros um sich in luftiger Höhe zu entblößen, was das Publikum mit Johlen und großem Applaus feiert. Noch einige Hebefiguren hinterher und Ende der Vorstellung – halbe Stunde Pause bis zur nächsten Show. Es soll schließlich auch fleißig geshoppt werden.

„Hallo, willst du vielleicht eine schöne Körper-zu-Körper Massage?“ klingt es plötzlich mit unverkennbar holländischem Akzent. Das ist Wendy Somer aus den Niederlanden. 35 Jahre alt, großgewachsen, blonde, lange Haare, wohl proportioniert, bekleidet mit einem zitronengelben Bikini, der ihre schlagendsten Verkaufsargumente nur spärlich verdeckt – viel mehr Holland geht fast nicht. In ihrer Heimat ist Wendy ein absoluter Superstar in der Erotikbranche, mit eigenem Verlag, Homepage, DVDs und sogar einem Fanclub. Hier in Annenheim ist sie „nur“ für erotische Massagen zuständig. 10 Minuten kosten 25 Euro. „Ich bin ganz nackt und der Mann ist auch ganz nackt. Und dann gebe ich eine Massage“, erklärt sie. Wo Erotik draufsteht, ist oft Pornographie drinnen, die feine Grenze zwischen diesen beiden lässt sich distinguiert beschreiben. “Nackt und mit Toys, dann ist es Porno. Wenn du ganz nackt bist, aber du siehst die Pussy nicht, dann ist das nicht pornographisch, sondern Erotik. Meine Massagen sind erotisch und pornographisch, eine normale Köper-zu-Körper Massage ist erotisch, wenn eine Penismassage oder Blasen dabei ist, ist das Porno.“ Andächtig sammeln sich die Besucher um das Starlet aus der Erotikbranche. Ihr Auftritt auf dieser Messe wirkt so, als ob Pamela Anderson als Verkäuferin von Bademode tätig wäre. Rein optisch haben diese beiden Damen auch so einiges gemeinsam. Ob sie wohl den rechtzeitigen Ausstieg aus dem Geschäft mit frischen Körpern und nackter Haut schaffen wird? Finanzielle Probleme sollte es keine geben - mit 30 bis 35 Messeauftritten pro Jahr werden sich nicht nur die dritten Zähne ausgehen.

Drei breite Gänge führen durch die über 70 Messestände. Es duftet nach Räucherstäbchen und süßen Deodorants und ohne eine Nuance von Schweiß kommt man in der Tennishalle natürlich nicht aus. „Diamonds are forever“ klingt aus den Lautsprechern. Hier sind aber nicht nur „Diamonds a girl's best friend“. Im linken äußeren Gang intensiviert sich das Geruchserlebnis. Elfi aus Baden bei Wien, Mitte 30, der eine gewisse Ähnlichkeit zur Fernsehmoderatorin Lizzy Engstler nicht abzusprechen ist, verkauft hier ätherische Dufttöle, Lufterfrischer, Räucherstäbchen und Duftdrops. Wonach es hier so gut duftet? „Nach Opium“, antwortet Elfi mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Opium für das Volk auf der Erotikmesse – durchaus passend.

Rund um die große Hauptbühne verdunkelt sich plötzlich wieder das Licht, die Menge wartet begeistert und gespannt auf den nächsten Showact. Auch Manuela (25), Gärtnerin und Bernhard (28), Maurer aus Spittal haben sich eingefunden. Bereitwillig gibt Manuela Auskunft über die aktuelle Show. „Hier gibt’s grad den Men Strip mit einem schwarzen Neger, der im Moment als Araber verkleidet ist und sich gut bewegen kann. Ich hoffe er zieht bald etwas mehr aus.“ Grund für ihr Kommen sind die Shows aber nicht. „Ich bin hier, weil man sich immer neu inspirieren lassen will, weil es immer viel zu sehen gibt und weil es einfach lustig ist.“ Es ist der große Auftritt von Black Man Marc aus Jamaica. Ein Mann, gesegnet mit der Statur und Athletik eines 100-Meter-Sprinters. Für die Leichtathletik-Karriere hat es offensichtlich nicht gereicht. Dafür versetzt er jetzt, in eine USA Flagge gehüllt, die Besucherinnen in Rekordzeit in erotische Wallungen. Gleich zwei Frauen dürfen sich mit ihm auf der Bühne vergnügen – als Höhepunkt legt er einen Spagat auf und zwischen zwei Stühlen hin, damit die am Boden liegenden Gespielinnen sein Arbeitswerkzeug zu fassen bekommen. Das bringt dann doch so manchen offen stehenden weiblichen Mund und verschämte Männerblicke zu Boden. Während die Frauen sich vielleicht etwas für das eigene Schlafzimmer abschauen, denken die Männer schon an den nächsten Besuch im Fitnesscenter. Doch noch einige Kilo drauf auf die Hantelstange. Bernhard schaut sich gemeinsam mit Freundin Manuela den Men Strip an. „Eigentlich warte ich auf den nächsten Auftritt, da gibt’s dann wieder eine Mädels Show.“ Die beiden gehören schon zu den Stammgästen der Erotikmesse, weil es „immer wieder nette Spielereien“ zu sehen gibt. Verwandte und Bekannte auf der Erotikmesse zu treffen ist keine Seltenheit. „Ein wenig komisch ist das schon wenn einem die Nachbarn über den Weg laufen, aber man gewöhnt sich daran. Wenn’s die eigenen Eltern wären, wär’s vielleicht ein wenig peinlich.“ Unterdessen neigt sich der Auftritt von Black Man Marc dem Ende zu. Weit über 100 Messebesucher starren, fotografieren und filmen in Richtung Bühne. Neben dem obligatorischen Dildo gibt es Fotos und kleine Filme in schlechter Qualität als Andenken für zuhause.

Was auf der Hauptbühne nicht gezeigt werden darf, gibt es gleich nebenan in der Hardcore Show, im versteckten, abgetrennten Kämmerchen. Zwei elegant gekleidete ältere Herren haben sich vor dem Eingang eingefunden. Die beiden Mitfünfziger wirken bereits leicht illuminiert und ein wenig verloren, sind aber ungeachtet dessen äußerst wissbegierig und offen für neue Erfahrungen. „Wir haben uns gerade informiert, was Hardcore bedeutet. Wir haben die Information erhalten, dass es eine Lesbenshowist.“ Also, auf geht's „Zuerst werden wir ein bisschen was trinken, uns ein wenig entspannen und noch eine Runde ziehen. Die Show dauert ja sicher noch länger. Wir kennen das nicht, aber nachdem so viel Werbung gemacht wurde, haben wir beschlossen mal vorbeizuschauen.“ Sehr interessant sei eine solche Messe und man habe auch schon einiges gesehen. „Die Show von dem Mann aus Jamaica mit seinen zwei Partnerinnen, dann waren zwei Mädels dran, die waren auch recht ansprechend, und gleich neben dem Eingang war eine Frau, die sich ausgezogen hat – auch die war sehr ansprechend.“ Der erste Besuch auf einer Erotikmesse ist ein besonderes Erlebnis, vor allem wenn man eigentlich was ganz anderes vorhatte. „Wir sind von zu Hause unter dem Vorwand weggegangen, an einer politischen Versammlung teilzunehmen. Dann haben wir aber die politische Versammlung gestrichen und der Erotikmesse den Vorzug gegeben. Und das ist absolut keine schlechte Wahl.“ Und wen soll man hier die Stimme geben? „Da haben wir schon einige gesehen, mit denen man sich gut amüsieren könnte. Sowohl blond als auch schwarz sind interessant. Die Haarfarbe ist nicht so primär, wichtig sind ein schönes Gesicht und gut geformte Rundungen.“ Und ein kleines Souvenir für die Ehefrau sollte auch noch drinnen sein? “Das glaub ich weniger. Wenn ich hier was mit nach Hause nehme, haut mir das meine Alte um den Kopf. Dann haben wir morgen beide Kopfweh.“

Mittlerweile ist es merklich wärmer geworden in der Halle, mehr und mehr Besucher strömen durch die Gänge. Mindestens eine halbe Stunde braucht es um sich einen guten Überblick über das Sortiment zu verschaffen. Erotische Massagesysteme für daheim, erotische Schuhe und Schmuck, ein Dominospiel mit erotischen Bildern, für Kinder ungeeignetes Spielzeug, Dessous, erotische Malereien und Bilder. Die Erotik von Bügelbrettbezügen erscheint auf dem ersten Blick eher fragwürdig.

Was nicht fehlen darf ist eine breite Palette an Erotik DVDs. Das umfangreichste Angebot gibt’s gleich neben der Hauptbühne bei Bernd alias „Tutti Frutti“, 50-jähriger Videothek- Besitzer aus Wien, DVD Händler und ein richtiges Urgestein in der Branche. Zu übersehen ist er nicht, wohlgenährt, graues, gegeltes Haar und ein Safari Hemd, das herrlich in braun, grün, beigen Farben leuchtet. Vielleicht um zu symbolisieren dass er wie ein Löwe für sein Geschäft kämpft. Internet Downloads setzen der Branche ziemlich zu, aber es läuft nach wie vor passabel. Qualität hat ihren Preis, persönliche Beratung statt absoluter Anonymität wird hier groß geschrieben. „Viele Kunden suchen gezielt nach etwas. Die lesbischen Filme sind immer sehr nachgefragt. Und natürlich ist auch Sado-Maso immer mehr im Kommen. In Österreich sind davon aber viele Sachen leider nicht erlaubt.“ Frauen und Männer präferieren grundsätzlich dieselben Pornos. „Sie wollen Action haben, vielleicht ein bisschen Rahmenhandlung mit schöneren Menschen und schnelleren Autos. Aber im Prinzip geht’s nur um eines.“

Nicht nur das Kaufverhalten der Besucher, auch das Image von Erotikmessen hat sich in den letzten Jahren verändert. „Eine Erotikmesse ist nichts mehr Anrüchiges. Man geht hin um Party zu machen, wie auf ein Clubbing. Man genießt die Zeit, trinkt etwas und schaut sich die Shows an. Sex ist zur Nebensache geworden. Früher sind vor allem alte, geile Männer gekommen. Heute kommen Pärchen um eine gute Zeit zu haben. Und die Shows werden auch immer besser. Hauptsächlich geht es um die Party“, erklärt Mr. Tutti Frutti. Aber viele kaufen auch ein – und mit vollen Plastiksäcken bewegt sich die Karawane dann wieder Richtung Ausgang. Auch Robert, Hannes und Christian haben langsam genug. „Im Großen und Ganzen schon sehr interessant, aber es ist einfach zu viel auf einmal. Reizüberflutung pur“, meint Robert. Mit welchen Gefühlen die Jungs nach Hause gehen? „Wir gehen nicht heim, jetzt geht’s ab in die Stadt. Wenn wir hier nicht bekommen, was wir wollen, findet sich dort vielleicht ein williges Opfer.“

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