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mohr im hemd...

Der Eisbär betreibt derzeit Selbstreflexion hinsichtlich seiner signifikanten Affinität zu Fremdwörtern respektive noch viel mehr hinsichtlich seiner orthographischen Zukunft. Die Quantität (und möglicherweise auch die intellektuelle Qualität) der Blogeinträge ist ganz eindeutig regressiv, weshalb eine Weiterführung à la longue fraglich erscheint. Noch ist Polen jedoch nicht verloren/nicht aller Tage Abend/geht der Eisbär nicht über den Jordan/wirft er die Flinte nicht ins Korn. Wurde schon erwähnt, dass dem Eisbären auch eine signifikante Affinität zu nutzlosen Phrasen attestiert wurde? Hin und wieder werden vorerst an dieser Stelle auch in Zukunft verbaler Wahnsinn und Genie durchblitzen...

Heute gibt es noch eine Beobachtung, die bereits einige Wochen zurückliegt, aber trotzdem spannend erscheint. Nach dem Neujahrskonzert 2012 war in einer österreichischen Tageszeitung folgender Satz am Beginn einer TV-Kritik/Glosse zu lesen:

"Endlich dürfen sie wieder live mitsingen, die Wiener Sängerknaben, in die es nun offenbar auch einige Meinl-Mohren verschlagen hat."

Auf meine Kritik hin, dass dieser Satz wohl nur als rassistisch bezeichnet werden kann, reagierte der Autor mit ausschweifenden Erklärungsversuchen, die tief blicken lassen, weil sie am Kern der Sache vorbeigehen. Aber lesen Sie selbst, wie der Autor seinen Satz argumentierte:

Der MEINL-MOHR wurde 1924 von Joseph Binder entworfen, weil Meinl Kaffee röstet. Matteo Thun hat ihn noch vor wenigen Jahren modernisiert.
Beide Herren und auch die Firmenchefs von Meinl waren und sind keine Rassisten.
 
Shakespeare, Rossini, Verdi haben "dem Mohren von Venedig" mitfühlende
Denkmäler gesetzt.

Dürer und Grünewald haben "Mohren" gemalt.

Hugo von Hofmannsthal lässt im "Rosenkavalier" einen Mohrenpagen über die Bühne laufen. Noch ein finsterer Rassist?

Wenn Sie in meiner Glosse den nächsten Satz genau lesen, wird von mir gerade das wohltuende Fehlen von Rassismus gewürdigt, das in der Geschichte der Wiener Philharmoniker und der Wiener Sängerknaben der zwanziger bis siebziger Jahre leider nicht zu konstatieren war.

Vertriebene und ermordete jüdische Mitglieder, die es unangefochten bis 1918 gab, wurden von den beiden Institutionen erst in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einbekannt und gewürdigt.

Kleine Information am Rande: Als Bischof und Kardinal hatte der jetzige Papst Benedikt XVI. ein Wappen mit einem gekrönten Mohren. Und Ratzinger ist sicher kein Rassist.

Was tun mit "Der Zigeunerbaron" oder "Zigeunerliebe", "Polenblut" oder dem Mohrenpagen im "Rosenkavalier"?

Darf der Mohr Monostatos in der "Zauberflöte" wegen der political correctness in seiner Selbstdarstellung, die ihm Schikaneder und Freimaurer Mozart in den Mund legten, nämlich "dass ein Schwarzer häßlich ist", nun nicht mehr singen?

Muß ich eine Strichfassung von Schillers "Fiesco" erwarten, in der der intrigante Mohr "seine Schuldigkeit getan hat"?

Darf ich einen Sioux-Indianer heute nicht mehr "Indianer" nennen?

Bestimmte Antirassismus-Aktivisten wollen auch nicht mehr, dass die
"Schwedenbombe" aus dem Hause Niemetz so heißt.

Und stammt die Liebe noch von Zigeunern? Carmen sagt uns nicht, ob sie Roma oder Sinti oder sonst was ist.
 
So viel zur Rassismus-Frage. Da gäbe es wichtigere Empörungsgründe - zum Beispiel all jener, die freiwillig ununterbrochen als Touristen, Christmas-Shopper oder sonst was in die Todesstrafenländer USA, Indonesien, China, Saudi-Arabien, Jemen etc. reisen
 

Aus meiner Sicht ändert diese Ansammlung historischer Fakten und diverser Rechtfertigungsstränge nichts an der Tatsache, dass es jenseitig und rassistisch ist, wenn die erste Assoziation, die man beim Anblick von zwei dunkelhäutigen Sängerknaben herstellt, eine zu dem umstrittenen Meinl-Mohr ist.


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