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Wer früher stirbt, ist länger tot...

Es fiele schwer dem Eisbären Helmut übel zu nehmen, würde er früher oder später oben genanntem Credo folgen. Die Zukunftsperspektiven für seine Spezies sind de facto äußerst bescheiden, zudem sieht er sich nach Geschehnissen wie diesem immer wieder heftigen Diffamierungen ausgesetzt.

lieber Eisbär ;-)
wie gehts deinem neuen Artikel?
LG ein fan

Nachdem jedoch unlängst dieser kurze Leserbrief in die eisbärige Redaktion flatterte, fühlte sich Master Helmut doch ermutigt, seine non-konformistische publizistische Tätigkeit auf diesem Planeten zu prolongieren. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass sich sein schreiberischer Gemüsegarten à la longue zu einer von Diskontinuität geprägten Wildwuchsoase entwickelt hat. Im Sinne eines Satzes, der im äußerst empfehlenswerte Werk „Der Knacks“ von Roger Willemsen zu finden ist, wird diese verbalakrobatische Show weitergeführt. Das Schreiben bietet die beste Möglichkeit, sich der eigenen Dummheit zu vergewissern.

Wer früher stirbt(,) ist länger tot... 68 norwegische (mehr oder weniger) Jugendliche bzw. insgesamt 77 Menschen können post mortem ein Lied davon singen. Der nicht zu erklärende Amoklauf/Terroranschlag des Anders Behring Breivik, der danach tagelang mit seinen Lacoste-Pullis in die Kameras grinsen sollte, versetzte Norwegen in Entsetzen und kollektive Trauer. Der Teufel trug in den Stunden und Tagen nach diesem Ereignis nicht nur Kroko, sondern führte auch zu sonderbaren Auswüchsen in „klassischen“ und „neuen“ Medien.

These 1: Der Wettlauf um Schlagzeilen und Informationen wird zur Spielwiese der Social Media User. Die ostentativen Vorteile, wie schnellere Augenzeugenberichte, Informations- und Meinungsvielfalt sind unbestritten. Zugleich werden diese Kommunikationsmittel zu modernen Glaskugeln und Verschwörungen wie Seerosen, Neurosen und Bierdosen. Sekunden nach einer Bombenexplosion in Oslo wird auf Twitter (ersetze wahlweise durch Google+, Facebook etc.) über Al-Qaida als Drahtzieher des Attentats berichtet, vor der Islamisierung der westlichen Welt gewarnt oder über ein zweites 9/11 fabuliert. „Traditionelle“ Medien sind in dieser Competition mittendrin statt nur dabei und warnen sogar in Leitartikeln vor den bösen Moslems.

Und das obwohl nur Stunden später die Bomben von Oslo zur Randnotiz werden, weil Mr. Breivik mit der gezielten Tötung von Jugendlichen auf einer beliebten Ferieninsel erst das wahre Drama auslöste. Plötzlich wurde aus dem Terroranschlag der Amoklauf eines geisteskranken Sonderlings. Social Media leisten also einen wichtigen Beitrag zu Pluralismus und Transparenz, sie mutieren aber auch zum gefährlichen Instrument was die Bildung von Ressentiments betrifft.

These 2: Viel war in den Tagen nach dem Terroranschlag über die Solidarisierung in der norwegischen Gesellschaft die Rede, die sich in beachtenswerten Aussagen von Politikern und Anteilnahme an den Trauerfeierlichkeiten zeigten. Doch über allem thronte die Frage, wie das in der schönen, heilen, friedlichen skandinavischen Welt überhaupt passieren konnte. In einem stilistisch sehr gelungenen Text über dieses einschneidende Ereignis geht die deutsche „Zeit“ davon aus, dass sich Norwegen nach den Anschlägen für immer verändern würde. „Das Land ist nach der Katastrophe vom 22. Juli 2011 nicht mehr wie es vorher war. Der Schatten einer verwundbaren Welt wird es nicht mehr verlassen.“ Oder "die Selbstverständlichkeit des Landes wurde tief erschüttert". Der Eisbär hält diese Darstellung für überzeichnet und stellt die These auf, dass solche Geschehnisse ein Land nachhaltig kaum bis gar nicht beeinflussen.

Österreich ist zum Beispiel nach dem Brief- und Bombenterror des Franz Fuchs kein anderes Österreich geworden. Einzig im politischen Diskurs hatte das kurzfristige Auswirkungen. Terroranschläge diverser „Separationsbewegungen“ wie ETA, tschetschenische Rebellen, IRA etc. in Madrid, Moskau, Dublin oder London sorgen für kurzfristige Schockwellen in den betroffenen Ländern, Nationen grundlegend verändern können sie jedoch nicht. Die Atomkatastrophe von Fukushima hat eine Nation stante pede paralysiert, nach einigen Monaten ist die Folgewirkung überschaubar – statt einiger Hundert ist die Zahl der aktiven Atomkraftgegner vielleicht auf einige Tausend angewachsen.

Einzig den Terroranschlägen vom 9. September 2001 in New York und Washington kann eine grundlegende Bewusstseinsveränderung in der Gesellschaft attestiert werden, was aber wohl aus der bis dato einzigartigen Dimension dieser Anschläge resultiert. Aber das ist eine andere Geschichte, die dieser Tage ohnehin in inflationärer Form flächendeckend erzählt wird.

Kommentare

Lurn hat gesagt…
Lieber Eisbär! Deine Angst um die Eisbären ist wohl unbegründet: http://www.youtube.com/watch?v=DD-DHb0Giks
DANKE für den Artikel!
Stefan