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post-europhorie...

Inflationärer Verkauf an Fußball Fanshirts, eine noch weniger überschaubare Anzahl an Flaggen auf Klein- und Mittelklassewagen, sowie Luxuskarossen. Zudem eine apokalyptische Spirale an düsteren Prophezeiungen über mangelnde Sicherheit und diversen anderen Unzulänglichkeiten. Die morgen startende Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika bringt eine Reihe von Reminiszenzen an die Euro 08 in Österreich und der Schweiz mit sich. 

Der Eisbär hat sich aus diesem Grund für einmal in die Untiefen diverser Archive vergraben und ist auf interessante Geschichten gestoßen. Vor allem in der Host City Klagenfurt (die bald eher zu Ghost City mutierte…) hatten sich in den Jahren, Monaten, Wochen und Tagen vor dem Fußball-Europameisterschaften Geschichten aufgetan, die retrospektiv betrachtet primär Kopfschütteln auslösen können. Vandalismus, Schlägereien und Hunderte Festnahmen an den Spieltagen gehörten zur Tagesordnung, war da vielfach zu lesen. Dazu kam ein buntes Sammelsurium an Angstmacherei, absurden Ideen, Verschwörungstheorien und Hilflosigkeit… 
  • Der damalige Bürgermeister Harald Scheucher bringt die Idee von berittenen Polizisten ins Spiel, um in den zu erwartenden Menschenmassen im höchsten Maße mobil und flexibel zu sein. Die Exekutive lehnt das ab – wäre wohl eine peinliche Vorstellung geworden. 
  • Die Nationalbank geht davon aus, dass mehr Falschgeld im Umlauf sein wird. Fußballfans aus Polen, Kroatien und Deutschland unterschwellig als Geldfälscher zu denunzieren, sollte einer staatlichen Institution selbst im Zuge der Prä-Euro-Hysterie nicht passieren. 
  • Im Landhaushof wird ein begehbares Gästebuch aufgestellt. „Stefan + Jörg“ steht da unter anderem geschrieben. Nicht nur die Europhorie ist also vergänglich...
  • Landeshauptmann Jörg Haider, sowie seiner treuer Adjutant und Epigone Gerhard Dörfler entschweben in höhere Sphären. Sie propagieren die Idee einer Seilbahn, die das Stadion mit dem Strandbad bzw. Europapark verbinden soll und nach der EM wieder abgebaut wird. Aus Zeitgründen wurde das Projekt nicht realisiert. Zum Glück, damit hätte sich die Ghost City wohl endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben. 
  • Noch vor dem ersten Spieltag geistert die Meldung einer Kopfgeldprämie für den Lindwurm durch diverse Foren, Blogs und Medien. Englische Hooligans (??) sollen für den abgeschlagenen Kopf des Lindwurms 10.000 Pfund Prämie geboten haben, 5.000 Pfund für den ersten blutenden Polizisten. Die Verletztenliste der Exekutive hielt sich in überschaubaren Grenzen. Der Lindwurm blickt heute noch fröhlich über den Neuen Platz, der Kopf ist dran, schmerzt höchstens ob der politischen Zustände im Rathaus. 
  • Das Stadtmarketing Klagenfurt wollte pünktlich zur Euro 08 eine drei Meter hohe Sandskulptur von Franz Beckenbauer aufstellen. Die Aktion hat sich im Sand verlaufen… 
Die Liste könnte noch sehr, sehr lange weitergeführt worden – der geneigte Leser denke nur an die Verrichtungsboxen für die osteuropäischen Prostituierten, die zusätzlichen Kapazitäten in der Justizanstalt, die Urlaubssperre im LKH Klagenfurt, die 6.000 Euro Tagesgage für Werbebotschafter Armin Assinger (international ja soooo bekannt…), Testergebnis „schlecht“ und „verwirrend“ für die Stadion-Beschilderung in Klagenfurt etc. 


Was allen direkt und indirekt Beteiligten zugestanden werden muss, dass die meisten zum ersten (und wohl einzigen) Mal mit einer Veranstaltung dieser Größenordnung konfrontiert wurden und die genauen Ausmaße deshalb schwer einschätzbar waren. Die Art und Weise wie vor, während und nach der Euro 08 aber ans Werk gegangen wurde, war jedoch schon bezeichnend für den Zustand unserer Gesellschaft mitsamt den relevanten Entscheidungsträgern. Gelernt wurde aus all dem offenbar sehr wenig, die Kleingeistigkeit regiert in diesem Land wie kaum jemals zuvor.

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